Die Grünen haben ein „Sofortprogramm für den Klimaschutz“ vorgestellt.

Hehre Absichten und die Erkenntnis in die Notwendigkeit, jetzt rasch zu handeln, sollen hier durchaus ohne jeden Abstrich unterstellt werden. Kommentiert werden muss jedoch, welche konkreten UND raschen Konsequenzen das vorgestellte Programm haben werden, sollte es zur Umsetzung kommen.

Man muss nicht so weit gehen, wie der Vorsitzende der F.D.P., der in diesem Programm „alle Register der Verbotsorgel gezogen“ sieht, aber ein Blick auf die ökonomischen Konsequenzen des Programms sei doch erlaubt. Gerade weil die Grünen nicht müde werden zu betonen, dass ihre Vorstellungen mit Wachstum und Wohlstand durchaus kompatibel seien. Es kann aber sein, dass die Grünen diese Botschaft selber zwar fest glauben und davon überzeugt sind, dass ihre ökologischen Ziele auch der Volkswirtschaft und ihren Zielen dienen werden, sie auf der anderen Seite die ökonomischen Konsequenzen ihrer Vorschläge noch nicht vollständig durchdacht haben.

Gehen wir das Programm einmal durch und bewerten es ausschließlich unter ökonomischen Kriterien, ohne zu bestreiten, dass die vorgeschlagenen Maßnahmen ökologisch sinnvoll und zweckmäßig sind:

In ihrem Programm fordern die Grünen, die Ausbauziele für Solar- und Windenergie drastisch zu erhöhen. Dazu wollen sie eine „Solarpflicht“ für

+ Neubauten

+ öffentliche Gebäude und

+ Gewerbegebäude (bei Sanierung)

einführen.

Bewertung:
Der Vorschlag bietet ökologische Vorteile, weil so – bei Wegfall von fossilen Energien und Kohle – der weiter steigende Strombedarf „grün“, das heißt durch alternative erneuerbare Energien gedeckt werden kann.

Nachteil 1:
Konflikte mit der eigenen Partei und Klientel sind vorprogrammiert, weil schon jetzt die größten Blockierer von Trassen und Energietransport bei den Umweltaktivsten und Bürgerinitiativen zu finden sind.

Nachteil 2:
Es ist – nicht untypisch für die Grünen – mal wieder der Staat, der die Energiewirtschaft steuern und beherrschen muss. Auch hier drohen Konflikte mit der eigenen Klientel, die grundsätzlich eher gegen eine zu große Staatsnähe eingestellt ist, jetzt aber ihr eigenes Programm nur mit einem starken und vor allem konfliktbereiten und konfliktstarken Staat durchsetzen müssen. Durchsetzen heißt hier: Verbote aussprechen und Regeln einführen. Das klingt mehr nach Planwirtschaft als nach sozialer Marktwirtschaft.

Die Kosten des CO2-Preises beim Heizen wollen die Grünen von den Hauseigentümern bezahlen lassen.

Bewertung:

Auf den ersten Blick wirkt das harmlos und wenig belastend, wenn man kein Eigentümer von Immobilien ist.

Nachteil: Die Eigentümer werden die Heizkosten, einschließlich der CO2-Kosten über die Betriebskostenabrechnung an die Mieter weitergeben. In Berlin werden beispielsweise nur zehn Prozent der Eigentumswohnungen von den Eigentümern bewohnt, die anderen werden vermietet. Es wird also teurer werden, vor allem für die Mieter.

In ihrem Programm schlagen die Grünen vor, die Kfz-Steuer am CO2-Ausstoß des Fahrzeuges zu orientieren. Zusätzlich wird es einen Masterplan geben, mit dem man die Ladeinfrastruktur für Elektroautos verbessern will und es sollen 2,5 Milliarden Euro in den öffentlichen Nahverkehr zusätzlich investiert werden.

Bewertung:
Positiv zu bewerten ist der Versuch, den Bürger zu bewegen, von fossil betriebenen Autos auf Elektro-Autos oder auf Bus und Bahn umzusteigen.

Nachteil:

Die CO2-Steuer wird sofort erhoben; wann stehen die Stromtankstellen und die neuen Züge, Busse und Bahnen zur Verfügung? Hier wird man eher in Jahrzehnten als in Jahren rechnen müssen. Seriös wäre, die CO2-Steuer für Kfz erst dann umzustellen, wenn die Alternativen benutzbar zur Verfügung stehen.

Erheben eines Tierschutz-Cents:
Der Umbau von Ställen zu tierfreundlicher Haltung wird teuer. Hier soll ein „Tierschutz-Cent“ den Bauern helfen und zur Umstellung motivieren.

Bewertung:
Ob der Tierschutz-Cent so wirkt, wie beabsichtigt, kann bezweifelt werden. Ökonomisch gesehen bieten die Bauern Billigfleisch an, weil die Käufer und Konsumenten das so wollen.
Ein Tierschutz-Cent wird diesen grundsätzlichen Mechanismus nicht aushebeln. Für die Propaganda gut, für die Tiere schlecht.

Wenn man auf der Angebotsseite staatlich eingreift – also bei den Bauern – muss man entweder Anreize für tiergerechte Haltung schaffen (Subventionen, aber bitte nicht im Cent-Bereich) oder Billigfleischproduktion so verteuern (Strafsteuern), dass sie sich nicht mehr lohnt. Der Glaube an das „Bewusstsein“ und seine Veränderung ist ehrenwert aber – ökonomisch betrachtet – naiv.

Der Klimaschutz soll sozial gestaltet werden. Das bedeutet, vor allem Pendler mit einem niedrigen Einkommen sollen zusätzliche Gelder erhalten, wenn sie mit Elektroautos zu ihren (häufig Billig-)jobs fahren. Die Einnahmen aus dem erhobenen CO2-Preis sollen vollständig (!) als „Energiegeld“ zurückbezahlt werden.

Bewertung:
Auf den ersten Blick klingt das bestechend, aber vielleicht ist es doch nur ein WENZEG (wieder einmal nicht zu Ende gedacht).

Nachteil 1:
Als erste Maßnahme muss eine gigantische Einnahme- und Ausgabe- und Verwaltungs-bürokratie geschaffen werden. Ein großer Teil des eingenommenen CO2-Preises wird bereits hier kleben bleiben.

Nachteil 2:
Das Geld wird von den Reichen bezahlt und von den (relativ) Armen wieder eingenommen. Das wird Streit geben, wenn viele bezahlen müssen, die sich gar nicht für (so) reich halten und weitere Viele nichts herausbekommen, obwohl sie sich für arm halten.

Nachteil 3:

Ökonomische Gesamtrechnung:
Die Reichen werden den CO2-Preis nicht als Schmerz empfinden, weil sie ja „reich“ sind, die Armen allerdings auch nicht, weil sie das Geld wieder bekommen. Hier wird das ökonomische Perpetuum-Mobile erfunden. Steuern kann man mit so einem Ansatz nicht, schon gar nicht den CO2-Ausstoß

Transatlantische Klimapartnerschaft mit den USA:
Die Grünen wollen mit den USA einen gemeinsamen CO2-Mindestpreis aushandeln.

Die größten Erdölreserven in Milliarden Tonnen, weltweit

Bewertung:
Die ideologische Hinwendung der Grünen zu den USA kann man nur positiv bewerten. In den 80-er und 90-er Jahren klang das noch ganz anders.

Allerdings liegen innerhalb der westlichen Welt Kanada und die USA ganz weit vorne, was ihre fossilen Energievorräte angeht. Schwer vorstellbar, anzunehmen, dass diese beiden Länder auf die Nutzung dieser Rohstoffe ohne Kompensationen verzichten wollen nur, weil die Deutsche Regierung das gerne sehen würde.

Die USA förderten 2020 18,6 Mio. Barrel Erdöl pro Tag.

Und vom Fracking haben wir noch gar nicht gesprochen.

Vielleicht müssen die Grünen noch einmal darüber nachdenken, wie Sie „Partnerschaft“ definieren und welche ökonomischen, politischen, und militärischen Anreize bzw. Angebote sie den Amerikanern machen wollen und können, um den geforderten Rückgang an Öleinnahmen und Wohlstand in den USA zu kompensieren. Auf die Antworten darf man gespannt sein. Aus Sicht der USA gibt es, was das partnerschaftliche Verhalten der Deutschen angeht jedenfalls  – zurückhaltend formuliert – noch Luft nach oben.

Die intellektuelle Herausforderung, vor der die Grünen stehen, wenn sie regieren wollen, besteht nicht darin, zu diskutieren, ob man den Klimaschutz jetzt endlich ernsthaft betreiben und global voranbringen muss, sondern die Frage zu beantworten, wie man das konkret erreichen will und dabei zu verstehen, dass es außerhalb Deutschlands komplexe und vielfältige nationale Interessen gibt, die sich momentan noch nicht sehr gut mit Klimaschutz vertragen. Hier heißt es nicht, mantraartig Forderungen zu erheben, sondern Angebote zu machen, die für die Betroffenen attraktiv sind oder wenigstens sein können.

Bildung eines Klimaschutzministeriums mit Vetorecht:
Die Grünen fordern ein neues Ministerium, das gegenüber allen (!) Gesetzen aus anderen Ressorts Einspruch einlegen kann, wenn diese Gesetze, nicht den „Weg zum 1,5 %-Ziel einschlagen bzw. diesen behindern.

Bewertung:

Diese Forderung soll und wird bei den „Urgrünen“ große Begeisterung auslösen. In der Mitte unserer Gesellschaft und beim Bundesverfassungsgericht eher nicht. Es gibt da u.a. zwei Grundprinzipien unserer Verfassung („Schlag nach im Grundgesetz!“), die von den Grünen durchaus verstanden werden könnten, immerhin waren sie ja schon einmal Teil einer Bundesregierung:

„Richtlinienkompetenz des Kanzlers“
 Kein Kanzler und auch keine Kanzlerin (Baerbock?) wird hinnehmen können und dürfen (!), dass ein Ressort die „Oberkontrolle“ über alle Gesetze wahrnimmt und jeden Gesetzesvorstoß alleine mit dem Hinweis, er verstieße gegen das 1,5%-Ziel von Paris, blockieren kann.

Budgetrecht
Nur und ausschließlich das Parlament, also der Bundestag, entscheidet über Einnahmen und Ausgaben. Nicht so neu in Deutschland, müsste sich also durchaus herumgesprochen haben.

Dieses Ressort wird (und darf) mit diesen Vollmachten nie kommen. Bereits einen Tag nach der Wahl, werden das die klugen Grünen zugeben, die anderen werden es spätestens vom Bundesverfassungsgericht erfahren.

Zusammenfassende Bewertung:
Der Vorstoß der Grünen ist geeignet, von Plagiaten, Kommunikationsproblemen, Eitelkeiten … abzulenken. Die notwendige Debatte über konkrete Maßnahmen ist (endlich!) eröffnet.

Es ist auch legitim im Wahlkampf zuzuspitzen, zu übertreiben und Maximalforderungen oder unseriöse Versprechungen zu machen, denen ohnehin niemand glaubt. Da stehen die Grünen nicht alleine. Der Vorwurf, an einigen Stellen noch zu allgemein zu bleiben und sehr theoretische Vorstellungen zu entwickeln, trifft andere Parteien noch wesentlich härter. Wenn bildlich gesprochen über dem aktuellen Klimaschutzvorstoß der Grünen noch ein zarter Schleier des Vagen liegt, sind die Programme der CDU/CSU und der SPD auf diesem Sektor dichte Nebelfelder.

Die Süddeutsche Zeitung kommentierte den Programmvorstoß der Grünen am 4. August 2021 mit den Worten: „„Der Klimaschutz ist der Strohhalm, den die Grünen nach der Flutkatastropheergriffen haben.“ Vielleicht für eine Zeitung, die den Grünen ideologisch eher nahe steht, etwas zu harsch formuliert, aber es steht zu vermuten, dass man mit diesem Programm zwar die eine oder andere Wählerstimme gewinnen kann, der Weg in das Kanzleramt oder auch nur in eine Bundesregierung ist das jedoch wohl nicht. Oder sollen diese Vorschläge die Basis für eine Oppositionspolitik der nächsten Jahre bilden, auf die sich die Grünen schon einzurichten beginnen?

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