Die Verteidigungsministerin und der Generalinspekteur der Bundeswehr haben sich Gedanken gemacht und diese auch nicht für sich behalten, sondern unter dem Titel „Positionspapier – Gedanken zur Bundeswehr der Zukunft“ veröffentlicht.

(https://www.bmvg.de/de/aktuelles/wie-geht-es-weiter-mit-bundeswehr-plaene-akk-generalinspekter-5027894)

Dagegen ist ja nichts einzuwenden, schön wenn die Ministerin und ihr oberster Soldat sich mal bei einer Tasse Kaffee und einem Brainstorming zu der Frage „Wie geht es weiter mit der Bundeswehr?“ zusammensetzen. Gedanken kann man sich ja schon mal machen, wenn die Einsatzlage der Bundeswehr nicht ganz so gut ist, wie ein Generalinspekteur das gerne hätte, wenn man von den vollmundigen Versprechungen, die ein Außenminister Steinmeier der NATO 2014 gegeben hat, weit entfernt ist und wenn angesichts der Kassenlage Deutschlands und der Stimmung in den politischen Parteien ein Zuwachs des Verteidigungshaushalts – obschon wünschenswert – eher nicht durchsetzbar sein wird.

Was kommt dann raus, wenn Ministerin und Generalinspekteur nachdenklich in ihren Tassen rühren? Halt, Stop, so ist es ja gar nicht gewesen. Die „Gedanken“, die wir heute lesen können, haben sich weder Ministerin noch Generalinspekteur gemacht. Das Positionspapier ist ein ministeriales Dokument, das nicht am Kaffeetisch der Ministerin entstanden ist.

Wochen- , wahrscheinlich monatelang, haben zahlreiche Referenten daran gesessen, den „Wunschzettel“ ihrer Abteilungen des Ministeriums zusammenzustellen. Rüstung, Planung, Haushalt und Controlling, Führung der Streitkräfte, Einsatz … alle durften mitarbeiten. Zunächst einmal. Die Abteilung Politik hat auf alles ein wachsames Auge geworfen, man nennt das Federführung. Am Ende wird mitgezeichnet – oder auch nicht. Das ist der Abteilung Politik aber in der Regel egal. Sie bestimmt, was am Ende der Ministerin vorgelegt wird. Und die Ministerin? Sie diskutiert das Ergebnis dann mit dem Generalinspekteur, womit wir dann doch wieder beim Kaffeetisch wären? Eher nicht. Der Abteilungsleiter Politik legt das Papier, immerhin sieben Seiten, der Ministerin vor und teilt ihr mit, wer alles mitgezeichnet hat und wer nicht. Gleichzeitig weist er, wenn er seine Arbeit gut macht, darauf hin, dass das Papier mit dem Auswärtigen Amt abgestimmt ist – schließlich will man keine zusätzliche Konfliktbaustelle in der Koalition.

Und der Generalinspekteur?  Er macht gut Miene zum bösen Spiel und unterschreibt. Das nennt man „Primat der Politik“. Der oberste Soldat kann später sagen, die Politik hat uns das Geld nicht gegeben und die Politik kann sagen, das Militär war doch eingebunden.

Im Ergebnis heißt das leider, das in dem Positionspapier nichts drinstehen darf, jedenfalls keine Positionen, schon überhaupt keine kritischen Positionen. Und schon gar keine Forderungen, womöglich nach Geld. Also bitte keine Zahlen! Damit ist der Abteilungsleiter Haushalt und Controlling (!) schon mal draußen. Besser so; in der Phase, in der wir uns befinden, können wir keine Spielverderber gebrauchen. Leider befinden wir uns immer in dieser Phase.

Also „Bedrohung“ muss schon sein. Ein paar unfreundliche Worte zu Russland. Das geht gerade noch, Nawolny lässt grüßen. Warnende Hinweise auf China. Das wusste schon Kurt Georg Kiesinger in seiner Rede bei der Wahlkampferöffnung der CDU („Ich sage nur China, China, China!“) am 31. August 1969 in der Dortmunder Westfalenhalle. Hat sich doch nicht so viel geändert seitdem?

Und sonst?
Ganz viele Allgemeinplätze, die Bedrohungen und Risiken aufzeigen, bei denen man sich jetzt nicht sofort Soldaten der Bundeswehr auf Panzern und im Tarnanzug vorstellen mag, um diesen Bedrohungen zu begegnen:
Zitate:

„Drohnen, Killer-Satelliten, hypersonische Flugkörper …“
Das klingt bedrohlich, zweifellos, aber wenig konkret. Wer? Wann? Wo? Wie? Die klassischen „W-Fragen“ beantwortet das Positionspapier nicht, aber dann müsste man ja auch konkrete Positionen beziehen, besser nicht …

„Feindliche Akteure greifen Deutschland täglich tausendfach in den Datennetzen an. Das betrifft Firmen, staatliche Behörden und Sicherheitsorgane gleichermaßen“
Nennt man „Cyber-War“. Hier steht die Bundeswehr wenigstens nicht alleine – im ewigen Hinterherzotteln hinter der Digitalisierung. Ob es Streitkräfte richten werden auf diesem Kriegsschauplatz? Zweifel sind angebracht.

„Menschenrechte, Demokratie und kooperative Politik werden immer häufiger angegriffen und systematisch geschwächt.“
Werden sie, definitiv. Was genau soll da die Bundeswehr mit ihren Panzern, Flugzeugen und Schiffen ausrichten, selbst, wenn sie einsatzbereit wären?

Springt man jetzt in dem Positionspapier von den Bedrohungen direkt zu den Vorschlägen, weil man wenig Zeit zum Lesen hat oder jetzt endlich wissen will, was der konkrete Beitrag der Bundeswehr gegen diese Bedrohungen sein soll, stößt man auf Seite 7 auf die

„Nächsten Schritte“:

Wieder ein Zitat:
„Es gilt jetzt, keine Zeit zu verlieren. Entscheidungen, die jetzt gefällt werden können, werden wir treffen. Noch nicht entscheidungsreife Fragen werden so vorbereitet, dass sie mit Beginn der neuen Legislaturperiode entschieden werden können.“

Verdächtig oft das Wort „können“. Welche Entscheidungen können jetzt nicht getroffen werden, warum nicht? Wenn sie denn zu Beginn der neuen Legislaturperiode entschieden werden „können“, ist noch nichts gewonnen. Die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen: tendenziell wird lieber nichts entschieden, schon gar nicht rasch.

Der Potentialis („können“) macht jetzt schon einmal klar, wer keine Schuld trägt, wenn mal wieder nichts entschieden wird (Hubschrauber, Drohnen, Mehrzweckkampfschiff, Luftverteidigung …. die Liste der Nichtentscheidungen ist lang). Bis zur Bundestagswahl geschieht erstmal nichts, dann gibt es Koalitionsverhandlungen. Dann kommt gegen Jahresende – vielleicht – ein Haushalt für das Jahr 2022. Steigender Verteidigungsetat? Unwahrscheinlich. Dann könnte entschieden werden (siehe oben), wird aber nicht, weil kein Geld da ist. Also wieder „muddling through (Durchwursteln). Der neue Verteidigungsminister oder die neue Verteidigungsministerin wird das Ministerium schon zu beschäftigen wissen: Bestandsaufnahme wäre nicht schlecht, hatten wir schon zwei, drei Jahre nicht mehr. Dann kommt eine neue „Reform“. Macht sich immer gut und gewinnt Zeit, wenn man schon kein Geld hat.  Eventuell unter einem anderen Namen? Anpassung? Dynamische Evaluation? Umformung, Strukturelle Neuausrichtung? … Es wird uns schon etwas einfallen,  und, wenn nicht, fragen wir ein paar Unternehmensberater, die haben immer gute Ideen …

Und bis dahin?
wieder ein Zitat:

„Im März 2021 legen wir eine umfassende Bewertung des Themas bodengestützte Luftverteidigung vor.

Bis zum Ende des I. Quartals leiten wir die Beschaffungsvorlage für die Eurodrohne dem Deutschen Bundestag zu.

Im II. Quartal treffen wir die Entscheidung zur Beschaffung eines schweren Transporthubschraubers.

Im April 2021 präsentieren wir die Grundzüge für einen modernen und zeitgemäßen Heimatschutz.“

Klingt nach einem Plan. Aber was für einer?
Wir dürfen uns auf eine „Bewertung“ der Luftverteidigung freuen, wie schön, noch ein Positionspapier.


Es kommt eine Vorlage, die Drohne kommt eher nicht. Das BMVg will eine bewaffnete Drohne, alle möglichen Koalitionspartner der CDU und CSU wollen genau das nicht.


Entschieden wird über die Beschaffung eines schweren Transporthubschraubers, endlich, möchte man seufzen, aber es kommt nur die Entscheidung (der Ministerin); der Verteidigungsausschuss und der Haushaltsausschuss werden (vor der Wahl) nicht entscheiden, wetten?


Aber die „Grundzüge“ (für einen Heimatschutz) bekommen wir. Ob wir dann wissen, wie wir die Heimat gegen „Drohnen, Killer-Satelliten, hypersonische Flugkörper …“ schützen und womit und vor allem ab wann? Es sind ja nur „Grundzüge“, keine falschen Hoffnungen bitte.

Jedes Unternehmen setzt sich Ziele, ermittelt für diese Ziele den Finanzierungsbedarf und bemüht sich um Kapital zur Investition. Gibt es kein oder zu wenig Geld (ja, das kommt vor), werden die Ziel angepasst.

Aber die Bundeswehr ist ja kein Unternehmen. Effizienz und Effektivität sind Teufelswörter, unter anderem, weil keiner weiß, was das ist.
BWL erstes Semester: Effizienz ist Abwesenheit von Verschwendung; Effektivität bedeutet das Erzielen einer positiven Wirkung.

So schwer ist das gar nicht, aber es gilt nicht für die Bundeswehr, weil sie ja einen Auftrag hat, den sie erfüllen muss.

Ganz praktisch, dass die Bundeswehr sich diesen Auftrag immer gleich selber aufschreibt, seit vielen Jahren. Weißbücher sind die Werke, in denen er steht. Leider findet man im Haushalts- und Verteidigungsausschuss niemanden, der die Rechnung für diesen Auftrag entgegen nimmt. Da könnte ein Generalinspekteur schon verzweifeln. Er könnte aber auch einmal erklären, dass es ohne Geld keine Verteidigung gibt, „Ohne Moos nichts los.“ Er könnte auch das eine oder andere Mal in der Öffentlichkeit auftreten und erklären, dass man mit altem und nicht einsatzbreitem Material nichts gewinnen kann, weder einen Krieg (böses Wort!) noch den Frieden. Er könnte aufzeigen, was das gesamte Material der Bundeswehr wert ist (das wissen vielleicht ein paar wenige im BMVg, allerdings eher nicht in der Abteilung Politik und in der Abteilung „Führung Steitkräfte“ des Generalinspekteurs vermutlich auch niemand).

Dann könnte er, das ist wieder leicht, zeigen, wie viel in das Material der Bundeswehr jährlich in den letzten zehn Jahren reinvestiert wurde. Das nennt man „Return on Invest“ (ROI). Nutzt man Ausrüstung (das ist bei Panzern genau das gleiche wie bei Maschinen einer Fabrik) zwanzig Jahre, muss man jedes Jahr 5 % (des gesamten Materialwerts; Kenner sprechen von etwa 130 Mrd. €) in Neuanschaffungen reinvestieren, wenn man nicht an Substanz verlieren und Einsatzbereitschaft als Ziel aufgeben will. Da liegt die Bundeswehr sehr weit darunter.

Mit drei bis fünf Zahlen kann man (der Generalinspekteur?) plausibel nachweisen, dass es für die Bundeswehr zu viel Auftrag und zu wenig Geld gibt. Ergebnis: bekannt. Da nützt auch die sechste und siebte Reform nichts.

Aber Zahlen sind ganz schlecht, man kann sie so schlecht zerreden, sie wirken so bedrohlich nüchtern und klar und sie eignen sich nicht für ein Positionspapier unter der Leitlinie „Immer weiter so mit der Bundeswehr!“

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