
Wie alles begann
Sprache prägt das Denken, Denken beeinflusst die Haltung, die Haltung bestimmt das Verhalten.
Weil wir über Jahrhunderte mit dem generischen Maskulinum der deutschen Sprache Lehrer gesagt und Lehrerinnen mitgemeint haben, von Ingenieuren sprachen und in diesen Begriff Ingenieurinnen (als es sie dann gab) integriert haben, wenigstens geistig, haben wir uns schuldig gemacht. Schuldig im Sinne der Anklage wegen Ungleichbehandlung, Respektlosigkeit und Benachteiligung von Frauen.
Das Urteil lautet Gendersprache und zwar lebenslänglich
Das haben wir jetzt davon, jetzt entscheidet nicht mehr Sprachgefühl Sprachlogik, Historische Entwicklung der Sprache, Melodie und Redefluss, nein, das sind kleinbürgerliche ästhetische Kriterien, die der politischen Korrektheit des Mainstreams nicht mehr standhalten (dürfen). Dabei hat Mainstream wenig bis nichts mit Mehrheiten zu tun, der Begriff bezeichnet nur diejenigen, die sich am lautesten, radikalsten und originellsten äußern, wie in unserer Jugend in Kindergarten und Schule Pausenclown und Klassenkaspar die meiste Aufmerksamkeit erhielten.
Genderneutrale Lösungsvarianten
Jetzt haben wir den Salat* oder SalatIn oder SalatX (suchen Sie es sich aus): es gilt die real existierende männliche Vorherrschaft zu brechen und dazu jetzt um jeden Preis beide Geschlechter, zum Beispiel „Fahrer und Fahrerin“ zu nennen oder um das große „I“ herum zu vereinen bzw. das Wort mit einem jbschen „X“ zu versehen. Ganz konservative und Kavaliere der alten Schule („Ladies first“) dürfen im Ausnahmefall die Reihenfolge umdrehen und von den sehr geehrten Zuhörerinnen und Zuhörern, Bürgerinnen und Bürgern oder Kundinnen und Kunden sprechen. Oder schreibt man genderneutral besser mit Tiefstrich „Fahrer_in“, oder mit Sternchen „Fahrer*in“? Fragen, die inzwischen nicht mehr zu heftigen Diskussionen führen. Eine winzige Minderheit beherrscht Schulen, Universitäten und Behörden, der große Rest der Bevölkerungs schweigt und ignoriert.
Ganz innovative Lösung setzen auf tätigkeitsbezogen Beschreibungen und reden von Studierenden, Fahrenden, am Verkehr Teilnehmenden, Bücher schreibenden (statt AutorInnen), Musizierenden, Schauspielernden usw. Die Duden-Redaktion hat den Streit inzwischen entschieden. Das Sternchen hat gewonnen alle selbstzufrieden politisch KorrektInnen sind zufrieden.
BMVg scheitert an Hauptfrau
Auch das Verteidigungsministerium (BMVg) möchte doch so gerne dem Zeitgeist folgen oder ihm womöglich ein paar Meter vorangehen. Richten sich intern doch schon länger die Vorlagen an GeneralinpekteurIn, auch wenn zweifelsfrei feststeht, dass es sich aktuell um einen alten weißen Mann handelt. Jetzt zeigt sich aber, dass es manchmal ganz schön schwer sein kann, sich modern zu geben: Die Bundeswehr möchte gerne genderneutrale Dienstränge einführen und droht an der Komplexität der Materie zu scheitern.
Frau Leutnant und Frau General formuliert sich leicht und flüssig, da besteht weder Handlungsbedarf noch kommt schlechte Laune auf. Die Bezeichnungen „Gefreitin“ oder „Hauptfrau“ könnte allerdings zu Missverständnissen führen. Und die genderneutrale Bezeichnung für „Panzerartillerist“, „Panzeraufklärer“ oder „Panzergrenadier“ ist wirklich hohe Schule der Genderspache. Es wird wahrscheinlich nicht ohne einen Arbeitskreis gehen, will man zu Lösungen kommen („Und wenn du nicht mehr weiter weißt, dann bildest du nen Arbeitskreis, und ist dir das Ergebnis schnuppe, dann machst du noch ne Arbeitsgruppe!“)
Wenn nur noch Frauen Geld schulden – Insolvenzrecht ist Frauensache
Hier verhebt sich gerade das Bundesjustizministerium an der Aufgabe den ersten Gesetzentwurf in rein weiblicher Schreibweise vorzulegen: das „Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts“. In dem Referentenentwurf lies man nur noch die Begriffe „Schuldnerin“ oder „Gläubigerin“. Auf Männer, in rein sprachlicher Form, wird verzichtet. Fein raus ist man da als insolventer Mann, der behaupten kann, von dem generischen Femininum gar nicht betroffen zu sein.
BMI zeigt grammatikalische Kompetenz
Ein Sprecher des Innenministeriums stellte im Deutschlandfunk fest: Während das generische Maskulinum – die rein männliche Form – für beide Geschlechter gelte, sei das generische Femininum als Verwendung für beide Geschlechter sprachwissenschaftlich nicht anerkannt. Außerdem bestünde die Gefahr, dass das neue Gesetz nur für Frauen gelte und damit verfassungswidrig sei.
Haben Frauen ein Recht auf weibliche Ansprache in Formularen?
Nein, hatte zunächst der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden. Frauen müssen danach keinen Nachteil hinnehmen, wenn sie in Vordrucken als „Kunde“ angesprochen werden, die Formularsprache dürfe männlich bleiben. Damit wurde die Revision einer Sparkassen-Kundin aus dem Saarland zurückgewiesen. (VI ZR 143/17).
Geklagt hatte eine 80-Jährige, die sich von den männlichen Formulierungen „Kunde“ oder „Kontoinhaber“ so gar nicht angesprochen fühlte und darauf bestand, in den Formularen ihrer Sparkasse als Kontoinhaberin und Kundin angesprochen zu werden. Das wiederum sah der Deutsche Sparkassen- und Giroverband nicht ein und wollte am sprachlich und grammatikalisch aber eben nicht politisch korrekten „generischen Maskulinum“ festhalten, also an der verallgemeinernden Form, die grammatisch zwar eindeutig männlich ist, aber nach herkömmlichem (inzwischen kontrovers diskutierten) Verständnis Männer und Frauen umfasst. Mit der Nennung beider Geschlechter werde alles noch komplizierter, zweitaufwändiger und vor allem teurer, so die Argumentation. Mehr als 800 verschiedene Sparkassen-Formulare hätten umgeschrieben werden müssen.
Zur Überraschung vieler entschied der VI. BGH-Zivilsenat mit seinen drei Richtern und zwei Richterinnen (!) anders: Die verallgemeinernde Ansprache in männlicher Form sei weder ein Eingriff in das Persönlichkeitsrecht noch ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz. Auch Amts- und Landgericht Saarbrücken hatten Krämers Klage bereits abgewiesen. Das „generische Maskulinum“ werde geschlechtsneutral verwendet, das sei schon seit 2000 Jahren so und damit eine „historisch gewachsene Übereinkunft“ und keine Diskriminierung.
Natürlich gibt es inzwischen Studien, die belegen wollen, dass männlich gefasste Stellenausschreibungen Frauen von Bewerbungen abhalten. Studien, die zeigen, dass Frauen auf das Eröffnen eines Kontos verzichten, wenn sie als Kunden angesprochen werden, sind noch (!) nicht bekannt, aber die Hoffnung stirbt ja zuletzt. Die Klägerin zog Fall vor das Bundesverfassungsgericht. „Ich sehe das überhaupt nicht mehr ein, dass ich als Frau totgeschwiegen werde.“ Die Seniorin kämpft nicht den ersten Kampf in ihrem Leben, in den 90er Jahren akzeptierte sie ihren Pass erst, als sie als „Inhaberin“ unterschreiben konnte. Später sammelte sie erfolgreich Unterschriften für weibliche Wetter-Hochs.
Das Bundesverfassungsgericht wies im Juli 2020 ihre Verfassungsbeschwerde aus formalen Gründen ab: Sie hätte mehr begründen müssen, warum sie als Einzelperson einen Anspruch auf die weibliche Form habe. Es fehlten Angaben, warum das generische Maskulinum, also die männliche Form als Oberbegriff, nicht in Ordnung sei, wenn doch sogar unser Grundgesetz durchgängig diese Sprache benutzt.
Rechtsprechung ist eben von Natur aus konservativ, meistens jedenfalls. Vor dem BGH-Sitzungsaal wies der gerichtsübliche Aushang ja ebenfalls nur auf die „Richter am BGH“ hin – obwohl zwei Richterinnen und drei Richter in der Sache gegen die Sparkasse Saarbrücken entschieden haben.
Juristisch ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichts allemal interessant. Das Gleichbehandlungsgesetz billigt Ansprüche dann zu, wenn man durch bestimmte Maßnahmen eine „weniger günstige Behandlung“ erfährt wird als andere. Wird man „weniger günstig“ behandelt, wenn man als Kunde bezeichnet wird und nicht als Kundin? Ist das Wort Kundin günstiger? Ja sagen Anhänger der Gendersprache, weil die Sprache Geschlechterrollen prägt und das generische Maskulinum Frauen nur „mitnimmt“ aber eben nicht in ihrer speziellen Rolle als Frau würdigt. Wenn man noch weiter geht, mag man in der männlichen Formulierung sogar einen Widerhall der doch endlich zu überwindenden männliche Erstzuständigkeit für finanzielle Dinge sehen.
Mehr als ein Geschlecht
Längst ist Ihnen klar geworden, dass die Formulare sowieso alle umgeschrieben werden müssen. 99 % der Bevölkerung sind CIS heterosexuelle Männer oder Frauen; das heißt Männer, die sich genau in dem Geschlecht wohl und zuhause fühlen, das ihnen bei Geburt zugeordnet worden ist. Aber eben 1 Prozent nicht. Und weil wir eben nicht alle gleich sind, müssen wir darauf bestehen, in unserer Ungleichheit wenigstens gleich behandelt zu werden. Wir sind also erst dann richtig frei, wenn auf den KundInnen-Formularen alle denkbaren Haltungen, Einstellungen, Orientierungen … gleichberechtigt nebeneinander Platz finden. Die Kontoführungsgebühren werden dann nebensächlich.
Das geschlechtsblinde generische Maskulinum
Ist die männliche Form in Wahrheit „geschlechtsblind“, wie der BGH argumentiert? Immerhin gibt es die deutsche Sprache schon ein paar Tage und wenig spricht dafür, dass es leidenschaftliche Machos waren, die sich alle Mühe gegeben haben, deutsche Sprache über Jahrhunderte frauenfeindlich zu entwickeln und zu pflegen. Die AktivistInnen der Gendersprache unterliegen einem häufig anzutreffenden Fehlschluss, nämlich der Verwechslung von Ursache und Wirkung. Weil wir über Jahrhunderte Frauen diskriminiert haben, zeigt sich das dann auch irgendwann in unserer Spache. Naiv anzunehmen, wir müssten nur unsere Sprache ändern, dann würden quasi automatisch Frauen gleichberechtigt. Es ist genau umgekehrt: wir müssen aufhören, Frauen zu diskriminieren, dann ändert sich vielleicht auch unsere Sprache, aber vielleicht auch nicht. Wenn Frauen das gleiche Geld für gleiche Arbeit erhalten, wenn sie die gleichen Chancen auf Bildung und Karriere erhalten und nicht mehr Opfer häuslicher Gewalt sind, dürften sie es leicht verschmerzen, von ihrer Bank als Kunde angesprochen zu werden und nicht als KundIn. Umgekehrt nützt das Ändern von Formularen nichts, wenn sich an den Fakten der Benachteiligung nichts oder nur sehr wenig und das im Schneckentempo ändert.
Viele Studien zeigen uns heute, dass wir, wenn man von Ingenieuren, Chauffeuren oder Pflegern spricht, vor dem inneren Auge Männer und nicht Frauen sieht. Möglicherweise ist mit meinem inneren Auge etwas nicht in Ordnung, ich sehe durchaus mehr weibliche als männliche Krankenpfleger, wenn ich den Begriff lese oder höre und bei Ingenieurinnen beklage ich höchstens, dass es so wenige gibt, was wir nicht ändern, wenn wir IngenieurInnen schreiben.
Wer schützt die Ästhetik der Sprache
Wir müssen unsere Sprache auch schützen und nicht nur als Herrschaftsinstrument sehen, was sie definitiv nicht ist, selbst wenn sie dazu missbraucht werden kann. Zu schützen ist Sprache Verkomplizierung Verdrehung und Überfrachtung. Eine sture und ständige Doppelnennung der männlichen und weiblichen Form hemmt den Sprachfluss, behindert das Denken und stört die Kommunikation. Dogmatismus ist ein Instrument der Willkür, der Zensur und der Diktatur. Wer Sprache dogmatisch instrumentalisiert, verhindert, was er schützen will: intelligenter Gebrauch, Witz, Einfallsreichtum, Originalität, Kreativität und Eleganz. JournalistInnen, die in Zeitungen, Radio und Fernsehen, sichtbar bemüht gendern, wirken kein bisschen souverän, überhaupt nicht originell sondern verkrampft und peinlich.
Was nun die Sparkassenformulare angeht: Da herrscht ohnehin unverständliches Bankenkauderwelsch, ausgebrütet und nicht ausgedacht von Juristen und Bürokraten. Die Einbußen an sprachlicher Schönheit oder auch Verständlichkeit wären mit neuen Formularen ohnehin gering ausgefallen. Leider steht zu befürchten, dass Klarheit, Logik und Eleganz der Sprach auch in neue Formulare kaum Eingang gefunden hätten. Hier hat das Bundesverfassungsgericht davon abgesehen, uns und den Sparkassen noch eine Chance zu geben.